Conventions finanzieren sich in der Regel über drei Wege: Eintrittskarten, Werbekooperationen und Standgebühren von Händlern und Ausstellern. Wenn eine dieser drei Geldquellen wegbricht, wird es schwierig. Allerdings haben die Veranstalterinnen und Veranstalter nur begrenzt Möglichkeiten, auf so etwas zu reagieren.
Conventions sind in einem Konkurrenzverhältnis
Alle Besucherinnen oder Besucher haben nur begrenzt Ressourcen, also Zeit und Geld, zu Conventions zu fahren. Mit einem ähnlichen Problem sind Händler und Werbepartner konfrontiert. Je mehr Conventions entstehen, desto schwieriger wird es für die Einzelnen, genügend Einnahmen zu erzielen. Es spielen selbstverständlich viele Faktoren mit hinein und ob beispielsweise die Verkäufe von Eintrittskarten steigen oder sinken, ist oftmals nicht nur darauf zurückzuführen. Mit diesem Fakt müssen Organisatoren umgehen und das zeigt sich u. a. dann, wenn sie versuchen einen Veranstaltungstermin zu finden, an dem keine ähnliche Veranstaltung stattfindet.
Diese Konkurrenz besteht aber auch gegenüber anderen Freizeitaktivität, Verpflichtungen und auch gegenüber dem Berufsleben. Jemand mit einer 30-Stunden-Arbeitswoche hat mehr Zeit für Hobbies als jemand mit einer 40-Stunden-Arbeitswoche.
Der Elefant im Raum
Ein sehr großes Problem ist, was im Speziellen seit 2018 nochmal sehr verstärkt wird, die steigende Armut. Nach einer Veröffentlichung vom Paritätischen Gesamtverband bezugnehmend auf die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind aktuell 16,6% der Menschen „armutsgefährdet“. Ich packe den Begriff deswegen in Anführungszeichen, weil wenn man sich die Zahlen zum Einkommen und die Lebenssituationen anschaut, finde ich ihn euphemistisch. Es ist auch sehr auffällig, dass im Kontext von Armut in Deutschland häufig von „armutsgefährdet“ geredet wird, jedoch selten von „arm“ – nach dem Motto Armutsgefährdete gibt es, aber keine Armen.
Die Armutsquote steigt seit Jahren kontinuierlich und erreicht von Jahr zu Jahr einen neuen Rekord. Aktuell geht es hier um 14,1 Millionen Menschen in Deutschland.
Das trifft Conventions in mehrerlei Hinsicht. Einerseits verkaufen sie weniger Eintrittskarten. Sich Essen zu kaufen oder die Stromrechnung zu bezahlen, hat für Menschen verständlicherweise eine höhere Priorität, sodass dann an Dingen gespart wird, die nicht lebensnotwendig sind. Andere gehen zwar noch auf Veranstaltungen, geben aber weniger Geld bei den Händlern und anderen Ausstellern aus. Die Folge davon ist, dass es sich für sie nicht mehr lohnt, auf einer Convention einen Verkaufsstand zu betreiben, weswegen sie dann auch wegbleiben.
Beides ist in vielen Fällen auch nichts, was eine Veranstaltung dadurch lösen kann, dass sie die Preise für Eintrittskarten oder Standgebühren senkt und dann an anderer Stelle weniger Geld ausgibt. Was oftmals viel mehr zur Buche schlägt, sind die Kosten für Hotelübernachtungen und An- und Abreise, auf die eine Veranstaltung keinen Einfluss hat.
Wenn sich für eine Veranstaltung keine andere Geldquelle ergibt, muss sie schrumpfen oder kann im schlimmsten Fall gar nicht mehr stattfinden, weil sie nicht mehr kostendeckend ist. Steigende Armutsquoten vernichten auf diesem Wege auch immer gesellschaftliches und kulturelles Leben.
„Die Anderen sind schuld“
Obwohl dieser Zusammenhang offensichtlich ist, fand ich mich in den letzten Monaten häufiger in Gesprächen mit Leuten wieder, die zwar ihre sinkenden Einnahmen sahen, aber die Ursache verkannten. So habe ich mit Händlern geredet, die eine Schuld bei der Convention-Organisatoren sehen wollten – schlechte Standplätze, schlechte Location, zu wenig Werbung gemacht und dadurch zu wenig Besucherinnen – und Convention-Organisatoren und -Helfern, die mit Boshaftigkeit und Verwahrlosung der Menschen argumentierten – Menschen hocken nur noch vor Computern und Streaming Diensten, sie sind faul geworden, sie wollen keine Gemeinschaft mehr und Social Media hat das verursacht.
Solche Sichtweisen sind mitunter gefährlich, denn wenn man sich mit ungerechtfertigten Schuldzuweisungen und herbeifantasierten Eigenschaften von Menschen versucht die Welt zu erklären, wird man blind für gesellschaftliche Missstände und mögliche Lösungsansätze. Es ist im Besonderen ein sehr beliebter Trick, Sachen in den Bereich der Natur zu schieben und sich so einer ernsthaften Auseinandersetzung zu verweigern.
Sätze wie „Menschen sind egoistisch und immer auf ihren eigenen Vorteil bedacht und deshalb geizig“, haben mit der Realität nichts zu tun und behaupten eine Unveränderbarkeit der Situation – was in der Natur von etwas liegt, kann nicht verändert werden, denn es ist biologisch begründet. Richtig übel wird es dann bei Spielarten wie „Homosexualität ist unnatürlich“ oder „Frauen wollen von Natur aus alle Mütter werden“.
Menschliches Verhalten resultiert immer auch aus der ganz konkreten Lebenssituation und den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen heraus und darf daher niemals getrennt davon betrachtet werden. Wir haben mit der Soziologie einen ganzen Wissenschaftszweig, der sich nur damit auseinandersetzt.
Es gibt ein Interesse an Armut
Sehr anschaulich lässt sich dieser Zusammenhang z. B. am Arbeitslosengeld aufzeigen: je höher es ist und je geringer somit die Möglichkeit wird, durch Arbeitslosigkeit in Armut abzurutschen, desto mutiger werden Menschen darin, sich von ihren Vorgesetzten nicht alles gefallen zu lassen, höhere Löhne und bessere Arbeitsbedingungen einzufordern und für ihre Kolleginnen und Kollegen einzustehen, wenn diese unfair behandelt werden. Das Arbeitslosengeld ist die Sicherheit und somit die Verhandlungsmasse aller Lohnabhängigen.
Aktuell haben wir die Situation, dass auf einen nicht besetzten Arbeitsplatz drei Leute kommen, die Arbeit suchen. Wer in dieser Situation von faulen Arbeitslosen schwadroniert, hat entweder keine Ahnung von der Faktenlage oder lügt bewusst, um so Zustimmung für weitere Kürzungen des Arbeitslosengeldes zu kriegen, wodurch die Angst vor Arbeitsplatzverlusten weiterwächst und so weiter die Löhne und Arbeitsbedingungen nach unten gedrückt werden können.
Hohes Arbeitslosengeld und hohe Löhne wären übrigens auch gesamtgesellschaftlich gut, denn wenn Leute Geld ausgeben, sind das die Einnahmen von irgendwem, wodurch Unternehmen wachsen, dann mehr Leute einstellen müssen und so die Arbeitslosigkeit sinke.
Etwas anders verhält es sich bei Großunternehmen, denn sie haben in der Regel als Absatzmarkt nicht nur das Land, in dem sie produzieren lassen, sondern sind auf den Export fixiert. Hierfür ist Deutschland ein sehr gutes Beispiel, denn genau diese Politik wurde vor ca. 20 Jahren mit der Agenda 2010 verfolgt.
Es wurde das Arbeitslosengeld gekürzt und die Leiharbeit ausgeweitet, damit z. B. eine Organisierung der Angestellten in Betriebsräten und Gewerkschaften erschwert wurde, um die Löhne nach unten zu kriegen. Dadurch konnten die deutschen Großunternehmen zu geringeren Kosten – für Unternehmen sind Löhne genau das – produzieren als ihre ausländischen Konkurrenten. Das folgte dann dazu, dass sie ihre Waren zu niedrigeren Preisen anbieten konnten, sie mehr verkauften, die nicht-deutschen Unternehmen entsprechend weniger und Kunden verloren. Deutschland wurde Exportweltmeister auf dem Rücken der hiesigen Lohnabhängigen und das war kein Versehen.
Ich möchte jetzt nicht noch weitere Beispiele nennen, wie und warum Armut bewusst erzeugt wird. Mein Punkt ist Folgender: Es sind nicht die Conventions schuld und auch nicht die Händler, Ausstellerinnen oder Besucher.
Veränderung ist möglich
Unter all diesen Gruppen gibt es Menschen, die wegen steigenden Preisen und ausbleibenden Einnahmen verständlicher Weise ernsthaft besorgt sind. Es ist jedoch nicht hilfreich, wenn wir uns gegenseitig dafür die Verantwortung versuchen zuzuschieben und unseren berechtigten Frust aneinander auslassen.
Die Meisten, mit denen ich in den letzten Monaten geredet habe, seien es Veranstalterinnen, Händler, Aussteller und auch Besucherinnen, haben durchaus einen klaren Blick auf die Situation. Auch wenn sie nicht unbedingt genaue wirtschaftliche Hintergründe benennen können, so nehmen sie doch wahr, wie ausgeliefert sie momentan sind und wie wenig Handlungsmöglichkeiten sie haben, darauf zu reagieren. Gerade weil sie die Lage so richtig einschätzen und wissen, dass z. B. etwas mehr Werbung Geldprobleme nicht lösen wird, gibt es mitunter keinen sehr zuversichtlichen Blick in die Zukunft.
Ich habe auch keine einfach Lösung, die ich jetzt hier präsentieren kann, denn die relevanten Stellschrauben liegen außerhalb der Anime/Manga-Community. Für den Moment halte ich es für sinnvoll, sich erstmal ein paar Zusammenhänge bewusst zu machen und damit anzuerkennen, dass die Situation nicht Ergebnis von einer Natur des Menschen ist, sondern ein Resultat von Interessen und Entscheidungen und somit veränderbar.