Ich habe vor kurzem den Anime von Seraph of the End gesehen und war so ein bisschen angestoßen fasziniert, was für eine Weltanschauung ich dort präsentiert bekam. Neben einem glorifizierten Militarismus, der sehr an Starship Troopers erinnert mit dem Unterschied, dass sich in dem Film (nicht jedoch in der Buchvorlage) eben darüber lustig gemacht und eine solche Sicht auf Militär, Krieg und Kampf auf diesem Wege kritisiert wird, ist es schon sehr erstaunlich, was bei der Serie für Taten gerechtfertigt werden, wenn es um die Familie geht. Um nur ein Beispiel zu nennen: in der zweiten Staffel metzeln die Hauptfiguren ihre eigene Kompanie nieder, weil jemand aus dem feindlichen Lager diese angreift und die Leute sich verständlicherweise verteidigen, aber eben jener Angreifer mit einem der Hauptcharaktere befreundet ist, was die Anderen dann realisieren, ihn daher zum Familienmitglied erklären und ihn deshalb beschützen wollen.
Dieser Anime stellt es als die richtige Entscheidung hin, dutzende unschuldige Menschen zu ermorden, wenn es um ein Familienmitglied geht. Der Feind meines Freundes ist mein Feind – oder so ähnlich.
Es wird auch kein Versuch von einem der Beteiligten unternommen, die Situation friedlich zu lösen und das ihr zugrunde liegende Missverständnis aufzuklären, dass überhaupt den Angreifer zu der Attacke bewegte. Zwar realisieren die Hauptfiguren, was tatsächlich los ist, aber statt alle vom gegenseitigen Töten abzuhalten, sie haben schließlich auf ihre eigene Kompanie am meisten Einfluss, attackieren sie kurzerhand die eigenen Kameradinnen und Kameraden. Gewalt und Kampf wird als einzige Lösungsstrategie präsentiert.
Geschichten prägen die Wirklichkeit, die Wirklichkeit prägt die Geschichten
Ich habe danach im Netz geguckt, ob ich eine kritische Auseinandersetzung mit diesem doch sehr populären Anime finden kann. Leider erfolglos. Und damit steigen wir ins Thema dieses Blog-Eintrages ein: Ideologiekritik.
Wir alle waren damit auch schon mal damit konfrontiert, denn wenn man sich z. B. damit auseinandersetzt, wie Frauen in Serien oder Videospielen dargestellt werden, ist das Ideologiekritik. Neben einer solch oberflächlichen Auseinandersetzung, bei der es nur um Repräsentation geht und die einem oftmals glauben machen will, wenn nur genug Frauen in Führungspositionen seien, wären Frauenfeindlichkeit und Sexismus überwunden, kann und sollte man jedoch noch sehr viel tiefer gehen. Dass Frauen von ihren Männern finanziell abhängig sind, weil sie z. B. geringere Löhne bekommen, ermöglicht einen Machtmissbrauch, der immer ausgenutzt werden wird, solange er existiert und in der Hierarchie der Arbeitswelt aufzusteigen, ist immer nur für Einzelpersonen eine Lösung, niemals jedoch für alle. Es greift daher viel zu kurz, nur Rollenbilder und Stereotype zu hinterfragen. Stattdessen braucht es eine grundlegende Kritik an den Spielregeln unser Gesellschaft.
Nun prägen Filme weitaus mehr als uns nur unser Frauenbild und speziell, wenn man sich mit Ideologiekritik in Bezug auf Filmtheorie auseinandersetzt, stolpert man schnell über die Frankfurter Schule und auch über Namen wie Max Horkheimer, Theodor W. Adorno, Karl Marx und Walter Benjamin, die darüber schrieben, welche Bedeutung Medien für die Akzeptanz von Machtverhältnissen und Herrschafts- und Wirtschaftssysteme haben und auch wie sie ein Produkt jener Systeme sind. Genau da wird es erst richtig spannend.
Die Kritik der Kulturindustrie, die Horkheimer und Adorno in Dialektik der Aufklärung 1944 beschrieben, ist nach wie vor einer der besten Texte, wenn man verstehen will, was im Medienbetrieb schiefläuft und warum immer wieder schlechte Arbeitsbedingungen und schlechte Kulturerzeugnisse dabei herauskommen.
Wenn hingegen z. B. Ninotaku in einem Video über die schlechten Arbeitsbedingungen bei Studio Mappa, dass u. a. Serien wie Attack on Titan und Jujutsu Kaisen produziert, meint, dass Studios, Produktionskomitees und Geldgeber doch bitte verstehen sollen, dass gute Qualität Zeit benötige und dass die Fans auch gerne länger auf Serienfortsetzungen warteten, wird offensichtlich, dass er nicht das Problem verstanden hat und dann so ein hilflos geäußerter Wunsch als Lösungsansatz dabei herauskommt.
Ich werde jetzt keine Zusammenfassung von Dialektik der Aufklärung hier schreiben, weil das Thema zu umfangreich ist, um es auf einen Absatz herunterzubrechen. Es gibt aber von Scobel (3sat) ein 33-minütiges Video, was ich an der Stelle empfehlen kann, sich anzugucken.
Die Moral der Geschichte
Nehmen wir eine andere Serie, bei der das Systemische gut sichtbar ist: Food Wars. Ich mag sie, aber die Totsuki-Akademie, an der die Charaktere kochen lernen, ist nicht so toll, wie einem die Serie glauben machen will.
Diese Schule wird unter anderem damit im Manga vorgestellt, dass man eine Schulgebühr entrichten und eine Aufnahmeprüfung bestehen muss. Kinder, die nicht in eine wohlhabende Familie hineingeboren werden und die Eltern auch nicht die Möglichkeit haben, mit Nachhilfe zu unterstützen, haben schlechte Chancen, an dieser Schule für die später gut bezahlten Jobs ausgebildet zu werden. Es haben auch die Wenigsten von uns ein Elternteil, dass in dem eigenen Traumberuf arbeitet und einem Dinge beibringen kann, wie der Hauptcharakter Soma Yukihira. Außerdem hat er das Glück, dass sein Vater ein Restaurant besitzt, wodurch er Zugang zu aller zur Übung notwendigen Ausstattung bekommt.
Die Serie stellt dar, wie sich wohlhabende Eliten selbst reproduzieren und wie wenig Chancen andere haben, in ihren Reihen mitzuspielen.
Im einem Interview hat der Bildungsforscher und Soziologe Aladin El-Mafaalani über das deutsche Bildungssystem gesagt: „Unser Schulsystem tut so, als gäbe es Chancengleichheit. Unser System hat gar nicht eingebaut, dass eigentlich seine Aufgabe ist, Chancengleichheit herzustellen.“
Japan ist nicht Deutschland und eine fiktive Serie ist auch nochmal was anderes, weswegen man nicht ohne weiteres Kritik übertragen kann. Aber dieser ganz konkrete Punkt, dass bei Food Wars eine Schule präsentiert wird, die vortäuscht, dass alle die gleichen Chancen hätten, wo doch schon in der allerersten Folge eine Selektion gezeigt wird, bei der gerade Kinder aus weniger wohlhabenden Familien aussortiert werden, gilt auch hier.
Filme, Serien, Bücher und anderes sind Erzählungen über Menschen, ihre Beziehungen und die Gesellschaft und sie prägen unsere Weltanschauung und unser Verständnis von Gerechtigkeit. Deswegen braucht es eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen. Reviews, die darauf bedacht sind, bei niemandem anzuecken, sind genau das nicht.
Die besten Analysen sind die, die es schaffen einem einen anderen Blick auf etwas zu geben. Auch wenn man Ende zu dem Ergebnis kommt, dass man mit ihr nicht einverstanden ist, lösen sie dennoch einen Denkprozess aus, bei dem man auch die eigene Sicht hinterfragt.